Basler Entsorgungs­firma feiert 125-jähriges Jubiläum. Im Gespräch kündigt Firmen­leiter Christophe Gence Bau­vorhaben an. Der Artikel ist am 8. November bei Prime News erschienen. 

 

Das Jahr 1893 ist in der Region in vielen Köpfen ein Begriff, schliesslich wurde dann der FC Basel gegründet. 1896 sagt hingegen fast niemandem etwas, obwohl sich ebenfalls wegweisende Dinge ereigneten. Es war der Zeitpunkt, als gleich mehrere Unternehmen entstanden, die bis in die Gegenwart bestehen, massgeblich zum Wohlstand der Stadt beitragen und 2021 ihr 125-jähriges Firmenjubiläum feiern. Dazu zählt nebst der Roche auch die Lottner AG, die heute zur national tätigen Paprec Schweiz-Gruppe mit knapp 200 Angestellten gehört.

 

Der deutsche Einwanderer Robert Lottner senior hatte Ende des 19. Jahrhunderts im Handel von Altstoffen ein attraktives Geschäftsfeld entdeckt und am Rheinknie seine Zelte aufgeschlagen. Aus diesen Anfängen entwickelte sich über die Jahre ein auf Entsorgung und Recycling hochspezialisiertes Unternehmen.

 

Unternehmerisches Risiko wurde belohnt

«Unsere Firma ist den Leuten in Basel wohlbekannt, aber sie verbinden uns meistens ausschliesslich mit der Papier- und Kartonentsorgung. Dabei ist das nur ein Teil unserer Geschäftstätigkeit», sagt Christophe Gence, VR-Delegierter der Lottner AG und CEO der Paprec Schweiz, als er beim Treffen mit Prime News über das Industrieareal auf dem Lysbüchel im Nordwesten der Stadt führt.

Tatsächlich hat sich das Familienunternehmen in seiner langen Geschichte immer wieder für Investitionen in neue Segmente entschieden und durch strategische Übernahmen und Neugründungen zusätzliche Standbeine in der ganzen Schweiz aufgebaut. Diese Bereitschaft zum unternehmerischen Risiko hat sich ausbezahlt. So wurde beispielsweise vor 25 Jahren die Reisswolf Vernichtungs-AG auf den Markt gebracht. Eine Dienstleisterin für die Vernichtung von Akten sowie digitalen Datenträgern. Zu den Kundinnen und Kunden gehören Anwaltskanzleien, Arztpraxen, Spitäler, Versicherungen, Banken oder auch Privatpersonen. Die Reisswolf AG betreibt Standorte in Basel, Luzern, Zürich und Genf. «Wenn es um die sichere Datenvernichtung vertraulicher Dokumente geht, sind wir schweizweit Marktführer und erfüllen als einziges Unternehmen in der Schweiz den höchsten zertifizierten Sicherheitsstandard bei der Aktenvernichtung», erklärt Gence nicht ohne Stolz.

 

Das grosse Potential von Kunst­stoff

Der 57-jährige Firmenlenker, gekleidet in einem eleganten Business-Anzug mit darübergestreifter Sicherheitsweste, schreitet durch die hohen und weiten Hallen des Recyclingcenters an der Schlachthofstrasse. Es herrscht lärmiger Betrieb: Lastwagen fahren heran und laden ab, was Herr und Frau Basler auf die Strasse gestellt haben.

Hier türmen sich meterhohe Altpapierberge, welche die Lottner AG im Auftrag der Gemeinden von Basel-Stadt und Baselland einsammelt. Dort befindet sich auch ein sperriger Haufen mit Altmetall-Schrott. Gence, der an der ETH Zürich und in Standford Maschinenbau und Wirtschaftslehre studierte, schüttelt die Hände von Mitarbeitern, tauscht mit ihnen ein paar Worte aus. Dann bleibt er stehen und zeigt auf zusammengebundene, durchsichtige Säcke mit gelber und weisser Färbung, die weit über seinen Kopf in die Höhe ragen. Wir erkennen allerlei Dinge aus Plastik: Ein Drämmli-Spielzeug, ein Mousepad, unzählige Verpackungen. «Hier deponieren wir die Kunststoff-Abfälle, die wir seit fünf Jahren bei den Sammelstellen in der Gemeinde Allschwil und inzwischen auch in Muttenz abholen. Ein Projekt mit Vorzeigecharakter, das für Nachhaltigkeit steht», erklärt Gence. Statt den Rohstoff in der nahegelegenen Kehricht-Verbrennungsanlage der IWB zu verfeuern und damit CO2-Emmissionen zu erzeugen, werde er wiederverwertet. Üblicherweise könnten bis zu 70 Prozent recycelt werden.  «Diese Vorgehensweise bildet unser Kerngeschäft: Wir wollen die primären Rohstoffe schonen und in einer Kreislaufwirtschaft erneut nutzen. Gerade Kunststoff eignet sich dafür optimal: Es ist ein fantastischer Rohstoff», schwärmt Gence und erzählt, wie sich zum Beispiel aus Kunststoffgranulat Mülltonnen fertigen lassen.  Das funktioniere hervorragend – auch wenn, das sei kein Witz – die Mülltonnen einen leichten Shampoo-Geschmack hätten, wie er lachend bemerkt.

 

Millionen-Projekt auf SBB-Areal in Planung

Im Gespräch betont der Unternehmensführer, der viele Jahre im Ausland tätig war und die CEO-Funktion vor sechs Jahren übernahm, die nach wie vor enge Verbindung der Firma zum Standort Basel. Das ist insofern überraschend, als im November 2018 das Stimmvolk einen wegweisenden Entscheid zur Zukunft des Lysbüchels gefällt hat. Die reine Industrie- und Gewerbezone wird aufgehoben: Auf dem Areal «VoltaNord» entstehen in den nächsten Jahren Wohnflächen für 19'000 Personen. Der Gewerbeverband hatte damals alles in die Schlacht geworfen, um die Mischform von Wohnen und Arbeiten zu verhindern. Die Industrie- und Produktionsbetriebe dürften nicht aus der Stadt verbannt werden, lautete eines der Kernargumente. Die Lottner AG hätte den Ausgang der Abstimmung als unhöflichen Fingerzeig der Bevölkerung interpretieren können, sich gefälligst nach anderen Flächen im Umland umzusehen. Nach dem Motto: Für Schrottplätze haben wir in der gestylten Lifescience-Welt keinen Platz mehr.

Doch es kommt ganz anders, als erwartet: Christophe Gence kündigt gegenüber Prime News an, dass sein Unternehmen keine Abwanderungsgelüste hege, sondern vielmehr auf dem Lysbüchel konkrete Expansionspläne verfolge. In jenem Abschnitt, der weiterhin der ausschliesslich industriellen Nutzung vorbehalten bleibt und den SBB gehört, will die Lottner AG für mehrere Millionen Franken eine neue Anlage bauen und zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. «Wir verfolgen Projekte für eine weitere Sammelstelle oder eine Sortieranlage. Es ist noch zu früh, im Detail darüber zu informieren. Aber es wäre eine Chance, um unsere Tätigkeit nochmals zu modernisieren», sagt Gence. Das Unternehmen hofft, mit der SBB als Grundeigentümerin eine «passende Lösung» zu finden, um das Vorhaben in der Grössendimension von einigen tausend Quadratmetern in absehbarer Zeit zu realisieren.

 

Nachhaltigkeit in der Firmen-DNA

An sich passt die Ausrichtung der Lottner AG gut zu den politischen Schwerpunkten im Rathaus. Abfälle zu trennen und anderweitig zu verwenden, war schon immer ein nachhaltiges Unterfangen. Unter dem Eindruck der Globalisierung und des Klimawandels hat sich das Bewusstsein für die Bedeutung des Recyclings aber nochmals verstärkt. Insbesondere im Kunststoff-Bereich erkennt die Lottner AG grosses Potential. «Durch die Wiederverwertung lassen sich die CO2-Emmissionen um mindestens 30 Prozent senken», hält Gence fest. Die Trennung von Kunststoff – etwa bei den Takeways von Migros und Coop mit ihren vielen Plastikverpackungen – stehe erst ganz am Anfang. Das Potential sei entsprechend gross. Weil man es ernst meine und sich nicht nur pro forma einen «grünen Anstrich» geben wolle, fährt Gence fort, habe das Unternehmen vor drei Jahren einen Grundsatzentscheid gefällt: «Wir haben beschlossen, unseren Strombedarf zu 100 Prozent aus der Produktion von Schweizer Wasserkraftwerken zu decken.» In der Westschweiz, wo die Lottner AG von der Gemeinde Grand-Saconnex nahe des Genfer Flughafens den Auftrag für die Abfallentsorgung erhalten hat, wird neuerdings ein mit einem Biokraftstoff betriebener Lastwagen eingesetzt. Dadurch werde der Schwerlastverkehr in den Wohnquartieren reduziert und der CO2-Aussstoss verringert, sagt Gence.

 

Das bislang wohl grösste Ereignis in der Firmengeschichte bildete das Jahr 2010, als der französische Paprec-Konzern mit einem Jahresumsatz von zwei Milliarden Franken und weltweit 14'000 Beschäftigten die Lottner Holding übernahm. Seither gehören die verschiedenen Schweizer Marken wie die Lottner AG oder die Reisswolf AG juristisch zur Paprec Schweiz-Holding. An der Verankerung in Basel hätten die veränderten Eigentumsverhältnisse nichts geändert, unterstreicht Gence: «Unsere Heimat ist und bleibt Basel.» Das drückt sich zum Beispiel darin aus, dass anlässlich des 125-jährigen Jubiläums alle Mitarbeitenden in der Schweiz zur grossen Party in den Sankt Jakob-Park geladen werden.

 

Weitere Expansions­pläne in der Schweiz

Ehrgeizig zeigt sich Gence, als wir ihn auf die Zielsetzungen in den nächsten Jahren ansprechen. Obwohl die gesammelte Menge an Zeitungen im Vergleich zur Zeit vor Corona um zehn Prozent gesunken sei, habe die Gruppe durch die Tätigkeit in anderen Geschäftsfeldern ein Wachstum verzeichnen können. «In der Region Romandie wollen wir Marktanteile gewinnen. Zudem planen wir verstärkte Aktivitäten in der Digitalisierung. Der Bedarf nach entsprechenden Angeboten ist in der Branche sehr gross». Der VR-Delegierte der Lottner AG schliesst zudem nicht aus, dass weitere Grossprojekte folgen. Als Stichworte nennt er Anlagenparks in den Bereichen Biogas, Kompost oder Verbrennung. «In anderen Ländern betreibt Paprec bekanntlich solche Standorte. Wir sind bereit, auch in der Schweiz solche Projekte umzusetzen.»

 

Bericht Prime News vom 8. 11.2021

 

Erstellt am: 8.11.2021 | von Paprec Schweiz